22.06.2008 - 21:32

Sehen mit dem Sucher

Ein Gastbeitrag von Adrian Ahlhaus


Ein Gastbeitrag von Adrian Ahlhaus

Jeder Blick durch einen Sucher ist ein eigenartiges Ding. Ähnlich ist die Erfahrung mit dem Monitor einer Kamera. Wer durch einen Sucher blickt sieht ein Bild in einer schwarzen Kammer. Nebenbei bemerkt kann das ein Monitor leider nicht leisten; darum ist eine Kamera mit Sucher vorteilhaft. Was im Sucher nicht dazu gehört ist einfach weg. Der Blick wird nun konzentrierter, weil das „Drumherum“ nicht mehr sichtbar ist. Bei den Unerfahrenen entsteht der Eindruck, alles worum es geht ist drauf oder drin im Bild. Den Blick durch einen Sucher oder auf den Monitor einer Kamera sollte man als die bewusste Gestaltung eines Bildes begreifen. Sehen Sie selbst.

Haben Sie Ihre Kamera dabei? Möchten Sie gleich auf der Terrasse sitzen oder auf dem Balkon, auf einer Bank im Park oder bereiten Sie sich auf einen sonntäglichen Spaziergang vor? Nehmen Sie Ihre Kamera mit, es wird nicht anstrengend und nicht langweilig.

Ich sagte schon, so ein Sucher ist ein eigenartiges Ding. Schon mit dem Blick durch einen Sucher oder auf einen Monitor kann der Mensch zum Fotografen bzw. zur Fotografin werden. Alles wird in einen Rahmen gefasst, der Ausschnitt löst die Objekte von ihrer Umgebung. Es entsteht ein Motiv. Landschaft, Gruppe oder eine einzelne Person, alles ist schon deshalb ein Bild, weil es nur noch zweidimensional ist. Aber, ist es das was Sie wollen? Nein, denn eigentlich möchte jeder seinen eigenen Eindruck in einem Bild wiederfinden. Das kann beispielsweise der Spaß sein, den Sie gerade haben. Oder Ihr Freundeskreis, in dem Sie gerade sitzen, ist ein seltenes Ereignis und soll schon deshalb im Foto festgehalten werden. Wie auch immer, der Spaß und die Bedeutung kommen in einem Foto nicht vor. Niemals. Was in einem Foto sichtbar werden kann sind die Stellvertreter von Spaß oder Bedeutsamkeit, das Zusammenwirken der Gestik von Personen und einer Bildgestaltung. Doch beim Blick durch den Sucher können wir üblicherweise unser Handeln, also das warum wir auf einen Auslöser drücken, nicht vergessen. Deshalb haben wir ein anderes Bild im Kopf, als eine Kamera die Szene sieht. Beim Blick durch den Sucher oder auf einen Monitor steht also nicht die Frage im Vordergrund, was wir erleben, sondern eigentlich immer, was die Kamera sieht. Und deshalb sollten Sie Ihre Kamera nun mitnehmen, um eine einfache Übung zu machen.

Nehmen Sie etwas näher liegendes in den Blick, nicht weiter weg als 20 Meter. Sehen Sie durch den Sucher oder auf den Monitor. Und nun im schnellen Wechsel ein Blick ohne Kamera und wieder mit Kamera. Wahrscheinlich hat die Kamera einen ganz anderen Ausschnitt als Sie. Das liegt schon an der Einstellung der Brennweite. Die Kamera hat mehr im Blick, dann steht diese auf Weitwinkel oder zeigt einen größeren Ausschnitt, dann sehen Sie einen Tele-Bereich. Ist der Ausschnitt der Kamera besser oder Ihrer? Es ist eigentlich gleich wie Sie sich entscheiden, es ist immer ein Ausschnitt für den die Entscheidung bereits im Moment gefallen ist, den Ausschnitt Ihres Sehens oder jenen, den ihre Kamera zeigt. Und noch etwas ist geschehen. Sobald ein Ausschnitt schnell wechselt, in diesem Fall zwischen Ihnen und der Kamera, lösen Sie sich von Ihrer Umwelt. Spaß und Bedeutsamkeit rücken beide in den Hintergrund. Das Erleben eines Ausschnittes macht aus Zeitgenossen einen Fotografen oder eine Fotografin. So einfach ein Ausschnitt erscheint, so entscheidend ist dieser auf dem Weg zu einem gestalteten Bild.

Ab jetzt wird Fotografie zum Handwerk. Es bedeutet, dass die Kamera ganz bewusst für ein Ziel eingesetzt wird: das Foto. Oder anders gesagt: Ab jetzt sind sie kein naiver Betrachter einer Szenerie. Jetzt folgt der Kontrollblick über den Rand des Suchers. Spätestens hier beginnt die fotografische Gestaltung. Fehlt etwas oder gerät etwas in den Sucher-Ausschnitt, das nicht hinein gehört? Mit der Kamera darauf zuzugehen oder zwei Schritte zurück ist etwas gänzlich anderes, als die Brennweite zu verstellen. Machen Sie das mal. Am deutlichsten sehen Sie die Veränderung des Bildes am Hintergrund. Sicherlich, bis hierher käme man sehr wahrscheinlich auch bei einem spontanen Schnappschuss. Der Unterschied besteht darin, dass der spontane Schnappschuss nur dann gelingt, wenn die unbewusst erlernten gestalterischen Grundsätze, die die Medien uns von kleinauf vermittelt haben, in einem Bild zusammentreffen, was dann eher zufällig geschehen ist. Und das heißt letztlich, man hat keine Kontrolle darüber, ob ein Foto gelingt oder nicht. Doch darum geht es, sobald eine Kamera zu Hand genommen wird. Die Fotos sollen gelingen, was bedeutet sie können stellvertretend für Spaß oder Bedeutsamkeit in einer Weise stehen, dass die Betrachter eine abgebildete Situation verstehen können. Es bedeutet aber auch, dass jedes Foto „gelingen“ soll. So viel Spaß die Fotografie machen kann, spätestens wenn misslungene Fotos aussortiert werden müssen, dann hört der Spaß auf. Die Enttäuschung wird fühlbar und nicht so schnell vergessen.

Der Spaß am Fotografieren wird umso größer, je mehr schöne Fotos entstehen. Machen Sie deshalb diese zweite Übung in meinem kleinen Lehrgang. Das Aha-Erlebnis ist so einfach zu erreichen, wie es Sie für die Zukunft prägen wird. Manche Leute brauchen Jahre, um von selbst dahin zu kommen. Sind Sie mit dem Bild Ihrer Kamera einverstanden, dann hindert Sie nichts daran, ein Foto zu machen. Und vielleicht überlegen Sie beim Betrachten dieses Papierbildes noch einmal, wie Sie zu diesem Bild gekommen sind. Dann können Sie darüber nachdenken, was im Zweifelsfall anders sein sollte, was ein Weg in die bewusste Fotografie ist.

Gastbeiträge enthalten die Meinung des jeweiligen Autors und spiegeln nicht die Meinung von dkamera.de wieder.