Achtung Aufnahme

Ein Gastbeitrag von Adrian Ahlhaus

Gastbeitrag
Ein Gastbeitrag von Adrian Ahlhaus

Kaum jemand liest „Handbücher“. Fast alle vertrauen darauf, dass die Technik einer Kamera tatsächlich so einfach ist, wie dies in der Werbung versprochen wird. Doch dafür müsste eine Kamera die Gedanken lesen können. Denn was bedeutet es, wenn eine Kamera eingeschaltet wird? Es heißt, irgendein Foto oder ein Videoclip soll entstehen. Doch in welcher Situation? Nun, irgendwas wird schon zu sehen sein, wenn man auf den Auslöser drückt. So scheinen viele zu denken. Und wird es gar nichts - sehr unwahrscheinlich - dann hat man eben „kein Händchen“ für das Fotografieren. So war das schon zu den Zeiten des Films. Selbst einfache Kameras hatten im Sucher farbige Anzeigen, beispielsweise grün und rot. Bei rot ging es aus irgendeinem Grund eben nicht ein Foto zu machen, so glaubten wohl die allermeisten. Das selbst bei einer roten Leuchte fotografiert werden konnte, dass war kaum jemandem bekannt.

Eindeutige Signale, das sollen Kameras bieten. Doch sind die Signale einer Kamera selten so ganz eindeutig. Dafür gibt es viel zu viele Funktionen und Anzeigen auf den Displays. Doch irgendetwas macht das Gerät selbst bei unterschiedlichstem Licht, was tatsächlich irgendwie recht ordentlich funktioniert. Tausende von Fotos entstehen so Woche für Woche. Ob ein Foto „gut“ ist entscheidet nur noch scheinbar der Mensch hinter der Kamera. Tatsächlich wird dies weitgehend der Kamera überlassen.

So stand ich gestern an unserer viel benutzten Fußgängerbrücke, die einen der möglichen Wege in das Stadtzentrum bietet. Mal wieder hatte sich eine kleine Gruppe entschlossen, dass darauf ein schönes Foto entstehen könne. Also wartete ich, um nicht durch das Bild zu laufen. Da stand sie nun, diesmal eine Frau hinter der Kamera, blickte auf den Monitor und suchte den Bildausschnitt. Und es gab eine Diskussion: „Hast Du uns richtig drauf?“. Was heißt in diesem Fall „richtig“? dachte ich. „Ja.“ - offensichtlich hatte die Fotografin eine genaue Vorstellung von dem, was „richtig“ ist. Nun, diese Vorstellung habe ich auch, wenn ich als Fotograf die Wünsche meiner Kunden berücksichtige. Es ist üblicherweise eine ganz allgemeine Gestaltung der Leute, wie Aufnahmen von Gruppen auszusehen hätten. Eng beisammenstehend in die Kamera sehen, alle Gesichter gut erkennbar, alle lächeln (aus irgendeinem Grund) und schon sind alle zufrieden.

Doch fiel das Lächeln in diesen Sekunden nicht ganz leicht, denn Unsicherheit übertrug sich von der Fotografin auf die anderen. „Fertig?“ - eine verständliche Frage, denn Digicams arbeiten ziemlich leise. „Gleich.“ - ich konnte aus wenigen Metern auf dem Monitor sehen, den wandernden Ausschnitt mitverfolgen. Da wurde wild hin und her gezoomt und das Bild wackelte deutlich. Es ist nicht einfach mit ausgestreckten Armen längere Zeit ruhig zu stehen. Wie angenehm und nützlich ein Sucher sein kann, das wird in solchen Situationen verständlich. „Hast Du's?“. “Gleich“. „Nun mach!“ - Ja, dachte ich, drück' endlich auf den Auslöser. Doch da ließ die Fotografin die Arme sinken und sah auf die Kamera. War sie sich nicht im Klaren, welcher der zwei Knöpfe der Auslöser war? Oder hatte sie schon ausgelöst? Wieder hob sie die Arme. Die Gruppe konzentrierte sich erneut, rückte zusammen und alle lächelten. Man hatte eben Geduld, denn Fotografieren ist nicht ganz einfach, wenn es allen gefallen muss. Nun ja, ein allen gefallendes Foto hatte in diesem Moment zu entstehen. Dessen war sich auch die Fotografin wohl bewusst. Hatte sie das „Händchen“ für das Fotografieren? Spaß schien ihr die Situation nicht zu bieten.

In den folgenden Sekunden war es endlich zu Ende und die Diskussion ging jetzt erst richtig los. „Sind wir gut drauf?“. „Ja alle. Von Kopf bis Fuß.“. „Wie, warum den so groß?“. Richtiger hätte es wohl heißen müssen: warum so klein? Denn wenn man nur zwei Meter entfernt ist und mit Weitwinkel doch noch alles in das Bild holt, dann werden die Gesichter nur wirklich klein auf einem Foto abgebildet. Falsches Sprechen kann das Denken ganz schön verwirren. „Die Brücke sollte mit auf das Bild.“ - Die anderen hatten es wohl als nicht so wichtig gesehen, denn allenfalls ein wenig vom Geländer konnte auf dem Foto sein. „Lass doch mal sehen!“ hörte ich die Weitergehenden hinter mir. „Warte, irgendwie geht das...“

Nein, dazu hatte ich nun wirklich keine Lust, zu erleben, wie ausprobiert wird, wie diese Kamera funktioniert. Die Leute lesen eben keine Handbücher, dachte ich. Ist ja auch nicht gerade angenehm, denn einerseits gibt es fast überall nur noch Dateien, die man ausdrucken kann. Das ist aufwendig und kostet recht teure Tinte, oder man liest auf dem Bildschirm, was nervig ist, sobald ein wenig hin und her „geblättert“ wird. Und dann ist es andererseits auch immer trostlos langweilig, die Texte und Illustrationen vor sich zu haben, die zwar Funktionen erklären, aber nicht gerade dazu animieren, diese auszuprobieren. Spätestens beim achten Motivprogramm hat man vergessen, was laut Handbuch beim Ersten beachtet werden solle. Dann beendet man das „Handbuch“ und lässt die Dinge auf sich zukommen. Irgendwie kriegt man das kleine Teil der modernen Technik schon noch in den Griff, was eigentlich heißt: hoffentlich fällt es nicht auf, wie unsicher man beim Fotografieren ist.

Doch ist damit schon vorab festgelegt, dass Gruppenfotos immer Stress bedeuten werden, wenn man „kein Händchen“ dafür hat. Allerdings, woher soll es kommen? Spaß bietet das Fotografieren, wenn man wie ein Kind immer überrascht bleibt von jedem Foto, das aus dem „Zauberkasten“ kommt oder wenn man die Technik einer Kamera grundlegend beherrscht und die Sicherheit erlangt hat, dass ein Foto „gut“ wird. Nicht mehr viel Spaß macht es, wenn die eigenen Kenntnisse über eine von der Kamera gebotene Technik weit hinaus geht, man sich begrenzt fühlt. Bei der Gruppe ging es um die grundlegende Bedienung der Digicam, obwohl sich alle Geräte recht ähnlich sind. Selbst die Firma Samsung hat bei den „NVs“ das „revolutionäre“ Bedienkonzept mit den vielen Tasten am Displayrand wieder aufgegeben. Schon oft ist eine auf Dauer kein Geld einbringende Revolution gescheitert.

Deshalb, weil Handbücher selten gelesen werden, sollen nach Ansicht der Hersteller die Kameras möglichst viele Automatiken bieten, die für alle erdenklichen Situationen „gute“ Fotos liefern. Doch letztlich bleibt ungeklärt, welche Maßstäbe das sind, was ein„gutes“ Foto ausmacht. Die Frage nach den Maßstäben für gute Fotos, dafür sind die Foto-Foren nützlich, dann entsteht aus dem Besitz einer Kamera das Hobby „Fotografieren“. Hier erst, in jenen Gruppen, die ihre Fotos zeigen, wird der allgemeine Bildgeschmack konkret erkennbar. Erst hier erfahren viele, was mit einer Digicam alles möglich ist. Die Situation „Achtung Aufnahme“ bedeutet dann keineswegs Unsicherheit, sondern zeigt allen, dass nicht die Kameratechnik das Foto macht. So wird man (wieder) zum kreativen Menschen und ist für Gruppenaufnahmen besser vorbereitet. Und das sieht man den Fotos an. Ist der Mensch hinter der Kamera entspannt, dann sind es auch die Leute davor.

Gastbeiträge enthalten die Meinung des jeweiligen Autors und spiegeln nicht die Meinung von dkamera.de wieder.

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Sehr schön beschrieben - die …

Sehr schön beschrieben - die Spannung zwischen "Opfern" und "Täter". Die geschilderte Situation erlebt man ja inzwischen regelmäßig, vor allem in touristischen Hochburgen... Mitunter leidet man fast mit und könnte glatt in die Szenerie hinein laufen ;-)

Was allerdings Handbücher anbelangt, so habe ich selbst eine andere Meinung/Erfahrung. Ich mag keine gedruckten Handbücher mehr, bevorzuge statt dessen PDF-Files. Warum? Weil ich dort zielgerichtet suchen & schnell finden kann. So ich mag, kann ich auch wichtige Aussagen schnell per copy&paste z.B. in eine Word-Datei einfügen und mir so einen eigenen Extrakt zusammen stellen.

Gleichwohl ist es unerheblich, wo bzw. wie jemand ein Handbuch liest. Hauptsache er tut es. Und das war ja wohl die (richtige) Aussage des Beitrages...

VG, Matthias

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